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Das Fukushima-Paradoxon: Menschen ersetzen Roboter

Doch sollte es eigentlich nicht umgekehrt sein? Roboter ersetzen Menschen?

Die ungeheure Katastrophe von Fukushima, begründet durch das Erdbeben sowie einen daraus resultierenden Tsunami und einen möglicherweise bald darauf folgenden atomaren Super-GAU, hat die Welt erschüttert und hält sie noch in Atem. Täglich werden wir mit neuen Hiobsbotschaften konfrontiert, die uns vermitteln, dass alle bisher erfolgten Maßnahmen zur Verhinderung der Kernschmelze ohne Erfolg oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden waren. Stets ist von dem aufopfernden Einsatz der dort noch verbliebenen Arbeiter die Rede, die alles daran setzen, das Schlimmste in allerletzter Sekunde doch noch abzuwenden. Doch ausgerechnet die technikbegeisterten Japaner scheinen von der eigentlich sehr nahe liegenden Verwendung von Roboteranlagen in Fukushima nicht viel wissen zu wollen, obwohl diesbezügliche Hilfe nicht nur gefordert, sondern auch angeboten wurde.

Die Anzahl der Opfer, die allein das Erdbeben und der Tsunami gefordert hat, beläuft sich derzeit auf bereits über 7200. Die Zahl derer, die von der befürchteten atomaren Gefahr bedroht sind, wird noch wesentlich höher sein und ist derzeit noch gar nicht abzusehen. Immer wieder wird in den Medien von den jetzt noch 50 freiwilligen Arbeitern und Helfern berichtet, die ununterbrochen damit beschäftigt sind, dieses apokalyptische Szenario zu verhindern. Weniger bis gar nicht wird jedoch die Tatsache angesprochen, dass diese Menschen in Lebensgefahr gebracht werden, obwohl ihre Arbeit ebenso gut von Robotern erledigt werden könnte. Der Strahlenexperte Sebastian Pflugbeil spricht bereits jetzt von einer Selbstopferung. Warum, so muss also gefragt werden, setzt man in einem technisch derart fortgeschrittenen Zeitalter Menschen für möglicherweise tödliche Tätigkeiten ein, obwohl in fast allen Industriebereichen aus wirtschaftlichen Gründen menschliches Personal immer mehr von hochkomplizierten, leistungsfähigen Robotern verdrängt wird?

Die Vorstellung eines Roboters kann heutzutage sehr kompliziert ausfallen. Die Zeiten, in denen Roboter wie eine metallische menschliche Kopie dargestellt wurden, sind lange vorbei. Sie erfüllen keinen optischen Zweck, sondern sollen in erster Linie komplizierte Tätigkeiten übernehmen, die dem Menschen zu schwer sind oder die er als lästig empfindet (die Folge der betrieblichen Rationalisierung ist dabei die Kehrseite der Medaille). So gibt es schon lange verschiedene Roboter für den „Hausgebrauch“, die verschiedene Haushaltstätigkeiten erledigen können. Der Trend moderner Roboter geht jedoch immer mehr in die Richtung künstlicher Intelligenz. Aufgrund von exakten Berechnungen sind sie in der Lage, geworfene Bälle zu fangen oder „sehend“ durch ein Labyrinth zu wandern, ohne die Wände zu berühren. Dies alles beruht wie gesagt auf Rechenleistung und Programmierung, nicht auf wirklichem Denken geschweige denn Gefühl. Dennoch ist es vor nicht allzu langer Zeit ausgerechnet einem japanischen Team gelungen, einen lebensechten weiblichen Roboter zu entwickeln, der mittels Gesichtsausdruck Gefühle vermittelt.

Roboter arbeiten, eine exakte Programmierung vorausgesetzt, genauer als ein menschlicher Arbeiter. Sie benötigen keine Pausen geschweige denn Schlaf und werden niemals krank. Insbesondere Letzteres sollte jedem zu denken geben, der die gefährliche Arbeit der menschlichen Katastrophenhelfer im Fernsehen verfolgt. Während nämlich in den meisten Fabriken aus Kostengründen Mitarbeiter zugunsten von Robotereinsätzen wegrationalisiert werden, scheint dieser wirtschaftliche Faktor in Fukushima keine Rolle zu spielen. Man könnte zwar den Einwand erheben, dass Roboter von der Art, wie sie in Produktionsbetrieben die Funktion erfüllen, Fertigteile von einem Band zu entnehmen, mit derart komplizierten Aufgaben wie der Kühlung eines Kernreaktors niemals betraut werden können, zumal sich ja auch die Verbindung zum Stromnetz in Fukushima als schwierig erweist. Dazu ist jedoch zu sagen, dass die Roboter, die wir aus Fabriken kennen, lediglich die Spitze des Eisberges darstellen. In einer Zeit, in der Autopiloten, militärische Drohnen und Satelliten zur Selbstverständlichkeit geworden sind, wird bei entsprechender Betrachtung schnell klar, dass Roboter inzwischen mehr sind als nur bewegliche Greifarme. Sie sind hochentwickelte Errungenschaften, die auf den direkten Anschluss an das Stromnetz längst nicht mehr angewiesen sind und Arbeiten erledigen können, zu der kein Mensch jemals in der Lage wäre.

Wir erinnern uns sicher noch an die jüngste Kontroverse, die sich um die aktuellen Aufnahmen von „Google Street View“ drehte. Diese Aufnahmen wurden fast ausschließlich von Robotern angefertigt, wobei die Perspektive gar nicht mal ausschlaggebend ist. Inzwischen gibt es in der Tat leicht steuerbare drohnenartige Minifluggeräte, mit denen aus jeder Höhe so ziemlich jedes auch noch so kleine Loch ausspioniert werden kann. Natürlich schlugen auch hier entsprechende Wellen in der Öffentlichkeit hoch, weil sich so Mancher in seiner Privatsphäre verletzt sah, doch die Dimensionen dessen, was durch Robotertechnik möglich ist, können hier nicht verleugnet werden. Diese „sehenden Maschinen“ fanden auch Einsatz bei der Ausforschung der geheimen Kammer in der Cheops-Pyramide in Form eines kamerabewehrten Mikroroboters namens Upuaut-2. Und wer schon einmal eine Magenspiegelung hinter sich gebracht hat, konnte sich von der Qualität solcher maschinengesteuerten Kameras ein persönliches Bild machen.

Die Tätigkeiten der Roboter finden jedoch schon lange nicht mehr nur auf unserem Heimatplaneten statt. Im Weltall tummeln sich jede Menge von Menschenhand gebaute technische Objekte, deren Bedienung von Robotern und Automatismen erledigt wird. Pannen auf Raumstationen werden direkt vor Ort durch Roboter ausgeführt, und die Bodenproben vom Planeten Mars wurden automatisch, jedoch gewissermaßen sogar auf intelligente Weise, von einem Roboter eingesammelt, wobei der damals noch revolutionäre „Pathfinder“ heute schon veraltet ist. Fast alle Proben außerirdischen Materials, deren Träger keine Meteoriten waren, gelangten auf maschinellem Wege zur Erde. Allein die unvorstellbaren Abstände, die sich zwischen Mensch und Roboter hier auftun, zeigen die nicht mehr vorhandene Notwendigkeit einer simplen Steckdose, um die Maschine lauffähig zu halten, wobei zugegebenermaßen zum Beispiel der schon erwähnte Roboter auf dem Mars die Möglichkeit zu eigenen Entscheidungen im Programm trägt, weil das Funksignal von der Erde zum Mars zu lange unterwegs wäre. „Zu lange“ bedeutet in diesem Fall jedoch gerade einmal drei Minuten, was sich innerhalb der Abmessungen unseres Erdballs derart verkürzen würde, dass eine Verzögerung so gut wie gar nicht bemerkt würde. Die Behauptung, ein Einsatz von Robotern käme in Fukushima aufgrund des defekten oder instabilen Stromnetzes nicht in Frage, ist damit also hinfällig. Die Entfernung zur „Schaltzentrale“ spielt bei der Bedienung des Roboters keine Rolle.

Ohnehin werden schon beim Normalbetrieb von Kernkraftwerken auch dort Roboter eingesetzt, und das hauptsächlich aus zwei Gründen: Erstens, weil dies an Stellen geschieht, an denen ein Mensch nicht ausreichend Platz zum Arbeiten hätte, und zweitens – man höre und staune: aufgrund sicherheitstechnischer Bestimmungen. Es ist also ein Faktum, dass Roboter innerhalb von intakten Atomkraftwerken zum Einsatz kommen, weil die von ihnen verrichtete Arbeit für menschliches Personal zu gefährlich wäre. Da erscheint die Tatsache, dass in einem zerstörten Reaktor, der zudem kurz vor der Kernschmelze steht, anstelle von Robotern Helfer aus Fleisch und Blut eingesetzt werden, fast schon absurd und unwirklich.

Noch wesentlich abstruser erscheint die Situation, wenn dann technische Hilfe in Form von Robotern aus dem Ausland angeboten wird und seitens Japan keine Reaktion darauf folgt. So wurde jüngst das Bremer Team um den Robotik-Experten Frank Kirchner damit beauftragt, zwei hauseigene Roboter für den Einsatz in Fukushima entsprechend umbauen zu lassen. Doch bisher blieb die Bekundung eines Interesses aus Japan aus, obwohl nach Informationen der „Stuttgarter Allgemeine“ vor einigen Tagen eine öffentliche Anfrage der Japaner nach ferngesteuerten Robotern erfolgt sein soll. Dagegen hat der französische Nuklearkonzern EdF (Electricite de France), der als weltweit größter AKW-Betreiber bekannt ist, sowohl Spezialisten als auch Maschinen nach Japan entsandt. Seit Freitag, dem 18. März sind somit erstmals auch Roboter im Einsatz, wenn auch sehr spärlich.

Damit stellt sich die nächste Frage: Wenn es nun tatsächlich allmählich zum Einsatz von Robotern kommt, warum geschieht das erst nach einer Woche? Die Gefahren atomarer Strahlung und allem, was möglicherweise noch folgt, sind inzwischen jedem Zeitungsleser bekannt und sollte daher für diejenigen, die tagtäglich beruflich damit zu tun haben, erst recht keine unbekannte Größe darstellen. Wer aber um die Dimension der zu erwartenden physikalischen Reaktion weiß, die erst bei einer Kernschmelze eintritt, dürfte den Wettlauf mit der Zeit schon lange erkannt und eingesehen haben, dass Roboter hier wesentlich schneller und zuverlässiger arbeiten als menschliches Personal, das nicht nur unter erheblichem Druck, sondern auch unter Angst Arbeit zu verrichten hat. Dass hierbei Fehler und auch Fehleinschätzungen zustande kommen, die fatale Folgen nach sich ziehen können, dürfte Jedem klar sein. Auf diese Weise würden nicht nur die menschlichen Helfer in Gefahr gebracht, sondern auch noch zusätzlich die gesamte Bevölkerung, die es aber doch mit eben der zu verrichtenden Arbeit zu schützen gilt. Warum also selbst nach einer Woche noch der seltsam schleppend voranschreitende Einsatz von Robotern?

Möglicherweise liegt der Grund in der Beschaffenheit der benötigten Maschinen. Sicherlich gibt es auch heute noch keinen Roboter, der eigens dazu entwickelt wurde, ein zerstörtes Atomkraftwerk zu reparieren. Die entsprechend ausgerüsteten Geräte könnten aber durchaus zur Schadensermittlung und -erfassung genutzt werden, um darauf aufbauend eine schnelle und treffsichere Entscheidung zur weiteren Schadensbegrenzung zu fällen. Konkret beschrieb Wolfgang Wahlster vom DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) die Möglichkeit, mit Raupen versehene Roboter zusätzlich mit Strahlensensoren, Temperaturfühlern und Kameras auszustatten. Dies alles hätte aber wie gesagt sofort stattfinden müssen. Doch wurde im Gegenteil erst nach einigen Tagen das gerade mal voraussichtliche Ausmaß des Schadens festgestellt. Damit wurden nicht nur Menschenleben aufs Spiel gesetzt, sondern auch noch wertvolle Zeit verschenkt. Die Verantwortlichen schieben jedoch weiterhin das Argument vor, auf diese Situation nicht vorbereitet gewesen zu sein – wobei es in Anbetracht der Erdbebenanfälligkeit der japanischen Insel wohl nur eine Frage der Zeit war, bis ein solcher Fall eintreten musste. Zudem hatten die Japaner bereits nach dem erschütternden Erdbeben von Kobe 1995 angefangen, verstärkt in die Bereiche Bergung und Rettung zu investieren, wozu sie sogar den „Robocop Rescue“, einen jährlichen Wettbewerb der besten Rettungsroboter, einführten. Daran gemessen mutet die Behauptung bezüglich der mangelnden Vorbereitung wie eine weltfremde Ausrede an. Dass die genannten Investitionen weniger eine atomare Katastrophe berücksichtigten, wirkt in Anbetracht der Ansiedlung japanischer Atomkraftwerke hinsichtlich der Erdbebengefahr ebenso weltfremd.

Die Roboter, die in Fukushima zum Einsatz kommen, haben bestimmte Kriterien zu erfüllen. Unabhängig von der Art ihrer jeweiligen Aufgabe müssen auch sie gegen die Strahlung resistent sein. Dies wiederum bedeutet, dass sämtliche für den „Hausgebrauch“ verbauten Elektronikteile ausgetauscht werden müssen gegen eine Chiptechnologie, die einer hochkonzentrierten Gammastrahlung zu trotzen weiß. Mit anderen Worten: Diese Geräte benötigen verschiedene Chipsätze, die in der Weltraumtechnik verwendet werden. Andernfalls würden die Roboter auch in Fukushima schon nach kurzer Zeit ihren Dienst versagen. Dass derartig ausgerüstete Maschinen mit immensen Kosten verbunden sind, dürfte wiederum klar sein.

Liegt hierin möglicherweise der Hauptgrund für die zögernde Inanspruchnahme ihres Einsatzes? Sind es dieselben wirtschaftlichen Gründe, die normalerweise den umgekehrten Effekt haben und Roboter gegen Menschen ersetzen? Sollte sich diese begründete Vermutung tatsächlich als wahr erweisen, wäre das Wasser auf die Mühlen so mancher Anhänger von Verschwörungstheorien. Wie so oft würden Sparmaßnahmen den Wert menschlichen Lebens an einem finanziellen Modell messen, an dem ablesbar wäre, dass menschliches Personal jederzeit ersetzbar ist. Denn auch, wenn es sich bei den 50 Arbeitern und Helfern in Fukushima um Freiwillige handelt, so wird ihr mögliches Opfer immerhin billigend in Kauf genommen, obwohl es andere Alternativen gibt. Bereits jetzt werden sie an verschiedenen Stellen als Helden und Märtyrer gefeiert, was eigentlich schon alles über den von der Öffentlichkeit erwarteten Ausgang der Situation aussagt.

Es bleibt zu hoffen, dass der zahlreiche Einsatz von Robotern in Fukushima noch rechtzeitig aufgenommen wird und das ohnehin schon düstere Szenario nicht von wirtschaftlichen Interessen noch zusätzlich geschwärzt wird. Ob der Mensch bezüglich der allgemeinen Modelle seiner Energiepolitik aus den derzeitigen Vorgängen in Japan lernt, bleibt ebenfalls abzuwarten. Wir haben das Ende dieser Angelegenheit noch vor uns, doch schon jetzt ist eines sicher: Solche Ereignisse können überall und jederzeit geschehen. Momentan ist es noch eine Konfrontation zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Sollten wir uns nicht für das Richtige entscheiden, werden uns beide Größen eines Tages abhanden kommen.


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Ein Kommentar

  1. Der von dem Autor gemeinte japanische Wettbewerb dürfte wohl der „RobocUp Rescue“ sein und nicht der „RobocOp Rescue“.

    Ansonsten sehr interessanter Artikel

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